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Tante Jeannette und die Katzen

Wenn unsere Tante Jeannette nicht ans Telefon geht, so heißt das noch lange nicht, daß sie nicht zu Hause ist. Nein, es kann auch bedeuten, daß ein Kätzchen auf ihrem Schoß liegt und so gut schläft, daß sie es einfach nicht aufwecken will, bloß weil das Telefon klingelt.

Oft hat man sie die Straße überqueren sehen, rüber zum Bauernhof, bepackt mit einer großen Tasche, darin Schüsselchen mit angewärmtem Katzenfutter. Die heranwachsenden Katzenkinder dort und ihre halbwilden Mütter waren zwar mißtrauisch und dem Menschen nicht sehr zugetan, deshalb aber nicht weniger hungrig.
Wochen oder Monate später zogen solche Katzenfamilien dann manchmal mit Sack und Pack über die Straße und quartierten sich bei Tante Jeannette ein, immer noch ebenso mißtrauisch wie hungrig.

Wo immer sie Katzenelend sieht, mischt sie sich ein, etwa indem sie den Besitzern anbietet, Katzen auf eigene Kosten tierärztlich behandeln, kastrieren oder impfen zu lassen - und sie ist froh, wenn man sie gewähren läßt.
Die Kränksten nimmt sie am liebsten zu sich, um sie zu pflegen, bis sie wieder fit genug sind, zu ihren Besitzern zurückgebracht zu werden. Manche allerdings wollen nicht mehr zurück und beschließen kurzerhand, bei Tante Jeannette zu bleiben - sie selber wird dabei gar nicht lange gefragt.

So hat sich über die Jahre ein bunter Haufen unterschiedlichster Katzen bei ihr zusammengefunden. Tante Jeannettes großes, verwinkeltes Jahrhundertwende-Haus und das dazugehörige Gartengrundstück sind immer heiß umkämpftes Katzenrevier. Nachts herumstromernde Kater mißverstehen die geöffnete Katzenklappe gerne als Einladung, hereinzukommen, alles auszuspionieren, sich die Bäuche vollzuschlagen und schließlich mit den “rechtmäßigen” weil vorher dagewesenen Bewohnern einen erbitterten Streit vom Zaun zu brechen. In wilden Raufereien trampeln sie dann herum, fauchen, kratzen, beißen, rennen kreischend an den Vorhängen hoch, bis Tante Jeannette vom Schlaf hochschrickt. Erst wenn sie aufsteht und die Lichter anmacht, ziehen die Eindringlinge von dannen, und es kehrt wieder Ruhe ein, wenigstens für eine Weile - bis der nächste Eindringling lautlos die nächtliche Wohnung betritt.....
Die Katzenklappe schließen aber ist streng verboten, weil einige ihrer Schützlinge an “verschlossener-Katzenklappen-Phobie” leiden und in der Wohnung regelrecht Amok laufen, wenn die Ausgänge versperrt sind. Und niemand, wirklich niemand will eine Amok laufende halbwilde Katze in der Wohnung haben!

Tante Jeannettes Geduld mit den samtpfotenen Vierbeinern wird oft auf harte Proben gestellt. Sind Katzen im Zusammenleben mit Menschen oder anderem Getier ohnehin als wenig kompromißbereit bekannt, so gilt das erst recht für das bei Tante Jeannette angeschwemmte feline Strandgut. Dieses scheint nämlich zu glauben, daß alles, was sich in der Wohnung einer Katzenfreundin befindet, für Katzen auch irgendeinen Zweck haben muß. Sie turnen an den schweren Vorhängen, schärfen sich die Krallen an den Polstersesseln und Tapeten oder kicken Zierrat, den sie nicht anderweitig benötigen, vom Regal, um die hübschen kleinen Gegenstände im freien Fall beobachten zu können. Und was macht - sagen wir - ein von der Straße aufgelesener, in seinen Umgangsformen naturbelassener Kater, um dem Rest der Welt mitzuteilen, daß diese Wohnung auf ewig die Seine sein soll? Richtig. Er markiert aus Leibeskräften. Da muß auch schon mal eine handgeknüpfte Perserbrücke dran glauben, wenn sie das Pech hat, an einer strategisch wichtigen Stelle zu liegen.

Tante Jeannette aber müht sich redlich, diese Vandalen glücklich zu machen, und das fängt bei der Wahl des richtigen Futters an. Man probiert ja bereitwillig die vielen Marken und unzähligen Geschmacksrichtungen durch, wenn man am Ende dann weiß, was die Leckermäuler mögen. Und plötzlich hat Tante Jeannette dann wieder mal einen Volltreffer gelandet. Seit drei Tagen schon verdrücken die Katzen Unmengen von - um keine Werbung zu machen, nennen wir es einfach - “TomCat - Putenherzen & Seelachs”; Geschmatze, Geschnurre und leergeputzte Teller. Zufrieden, ob der prallen Bäuche leicht wankend, verlassen sie eine nach der anderen die Küche, um wohlgestärkt den weiteren Tageschäften nachzugehen. Die letzte dreht sich an der Türschwelle nochmal um und wirft Tante Jeannette einen langen Blick aus diesen wunderschönen Katzenaugen zu: “Kompliment, da hast du wirklich erstklassigen Stoff aufgetrieben. Wir wollen nie wieder was anderes essen!” Tante Jeannette greift nach Geldbörse und Autoschlüssel und verläßt eilig das Haus. Zurück kommt sie - wie könnte es anders sein - mit einer Kofferraumladung voll “TomCat - Putenherzen & Seelachs”.
Der Katzenfreund weiß natürlich, was jetzt kommt: Am nächsten Tag teilt Tante Jeannette wieder Schüsselchen aus, randvoll gefüllt mit “TomCat - Putenherzen & Seelachs”. Die Schwänze hoch aufgerichtet, die Augen freudig auf die Schüsselchen geheftet, eilen sie herbei - - - und prallen zurück. “Was ist das?!?! Was sollen wir mit diesem Schlangenfraß? Doch nicht etwa essen?!?!” Enttäuscht und ein bißchen ratlos tauschen sie noch einige Male die Plätze in der Hoffnung, im Tellerchen des Nachbarn vielleicht doch etwas Eßbares zu finden. Nein, alles ungenießbar. Also verlassen sie unter Protest eine nach der anderen die Küche. Die letzte wirft noch einen Blick über die Schulter zurück, kurz und knapp: “TIERQUÄLER!”

 Aber einmal hatte Tante Jeannette ein Kätzchen, das war ganz anders. Ein bißchen klein von Statur, aber eine große Schmusekatze vor dem Herrn; wollte immer nur schmeicheln, auf dem Schoß sitzen, stupsen und gestreichelt werden; liebevoll und ganz nah, wie Katzen halt auch sein können. Nicht lange, nachdem Tante Jeannette sie für uns in Pflege genommen hatte, stand fest: Dieses kleine rote Kätzchen, Mimi hieß sie, würde sie nicht mehr hergeben. Mimi dankte der Katzenfreundin nicht nur für die Liebe und Geborgenheit, die sie hier erfuhr, sondern entlohnte sie auch im Namen all ihre samtpfotenen Brüder und Schwestern, die in diesem Haus schon Aufnahme und Fürsorge gefunden hatten.

Aber nach 3 Wochen wurde Mimi schwer krank, und bald war klar, daß sie sterben würde. Zwei Wochen dauerte der Kampf um das Leben der kleinen Mimi, dann starb sie in Tante Jeannette’s Armen, wohlbehütet bis zum Schluß.

Heute, lange nach ihrer kurzen Begegnung mit dieser Schmusekatze, spricht sie noch oft von ihr, erzählt vom großen Glück mit der kleinen Mimi. (gh)

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